Verwechselungsgefahr besteht im sprachlichen Sinne durchaus, inhaltlich aber unterscheiden sich die beiden Konzepte eindeutig. Mehrgenerationenhäuser sind Begegnungsorte oder –stätten, in denen generationsübergreifende Angebote und kulturelle Aktivitäten für eine Nachbarschaft, einen Kiez oder einen Kommune vorgehalten werden und dort auch wahrgenommen werden können. Dabei kann es sich beispielsweise um diverse Unterstützungs- und Betreuungsangebote, Sprach- oder Weiterbildungskurse handeln, um Kinder-, Senioren- und Pflegeeinrichtungen.
Mehrgenerationenwohnen beschreibt ein privates und individuelles Konzept, bei dem generationenübergreifend Menschen in einem Haus unter einem Dach zusammenleben. Im täglichen Miteinander gehen die Bewohner und Parteien auf die gegenseitigen Bedarfe der verschiedenen Altersstufen ein und helfen und unterstützen sich im Rahmen ihrer möglichen Fähigkeiten. Das bedeutet beispielsweise, die Jüngeren und Mobileren übernehmen regelmäßig schwere, aufwendige Einkäufe für die älteren Bewohner. Diese bemühen sich wiederum beispielsweise im Gegenzug darum, die jüngere Generation bei deren Kinderbetreuung oder beim Kochen zu entlasten. Familien, Paare und Singles arrangieren und kümmern sich bestmöglich umeinander, unabhängig von Alter, Geschlecht, Familien- oder Gesundheitszustand.
Alle unter einem Dach: von der Ur-Oma bis zum Enkelkind
Mehrgenerationenwohnen findet in den häufigsten Fällen im direkten, familiären Umfeld statt. Dort, wo sich mehrere Generationen von den (Ur-)Großeltern, über deren Kinder, Tanten und Onkeln bis zu den Enkelkindern nicht nur den vorhandenen Grundbesitz und Wohnraum teilen, sondern gleichzeitig auch die vielfältigen Vorteile aus dieser verwandtschaftlichen und räumlichen Nähe ziehen. Enger menschlicher Kontakt oder Zusammenhalt und Austausch zwischen Jung und Alt, die gemeinsame mögliche Arbeitsteilung, finanzielle Spielräume durch gemeinsame Anschaffungen und das Teilen von Rechnungen, ein erhöhtes Verantwortungsbewusstsein durch die persönlichen Bindungen, sind einige positive Aspekte des Mehrgenerationenwohnens. Das Wohnkonzept kann natürlich auch auf Freunde, Nachbarn, oder fremde Gleichgesinnte jeden Alters übertragen werden, die generationenübergreifend eine gemeinsame, nützliche Wohnform anstreben. Die Vorteile der gegenseitigen Unterstützung von Jung und Alt liegen auch dort auf der Hand.
Die Bewohner oder Parteien können einerseits zwar weitestgehend unabhängig voneinander sein und leben, andererseits dennoch jederzeit auf kürzestem Weg den Kontakt untereinander pflegen und gegenseitig Hilfe suchen oder anbieten. Für Senioren, gerade mit pflegerischen Bedarfen, oder kranke Menschen kann so z.B. ein dauerhafter Verbleib im häuslichen Umfeld sichergestellt werden. Anfallende Kosten wie z.B. Steuern, Miete, Strom, Wasser oder Lebenshaltungskosten können geteilt oder anteilig umgelegt werden und der Verbleib im eigenen Zuhause stellt sich beim Mehrgenerationenwohnen in der Regel günstiger dar, als die Unterbringung in einem Seniorenheim oder einer Pflegeeinrichtung. Ebenso können Einkommen, Renten oder Grundbesitz gemeinsam genutzt werden. Entsprechende Erbregelungen, Schenkungen oder Verkäufe im Familienkreis sind im Hinblick auf die Sicherstellung bestehender Wohnverhältnisse daher nicht unüblich.
Demographie und Notwendigkeit
Früher war das Konzept des Mehrgenerationenwohnens häufiger Normalität als die Ausnahme. Familienzusammenhalt, Abhängigkeitsverhältnisse und gesellschaftliche Normierung standen in den letzten Jahrzehnten sich rasant verändernden Bedingungen, Digitalisierung, Diversität und der Individualisierung gegenüber. Örtliche Flexibilität und Unabhängigkeit waren und sind gefragte Attribute bei der Ausbildungs- und Berufswahl junger Arbeitnehmer und deren Arbeitgebern. Faktoren die eher zu einer Abnahme des Mehrgenerationenwohnens geführt haben. Auch die Kinderzahlen und die Familiengrößen haben sich im Verlauf der Zeit verändert. Der sich vollziehende demographische Wandel bedeutet, immer mehr Boomer und Senioren stehen weniger Jüngeren gegenüber.
Aber genau diese veränderten Rahmenbedingungen können das Wohnkonzept für alle Generationen wieder attraktiver machen. Die sozioökomischen Rahmenbedingungen verändern sich für junge und alte Menschen. Alte Menschen mit viel Wohnraum können sich jüngere Untermieter suchen, um in der eigenen Wohnung oder im eigenen Haus wohnen bleiben zu können. Und auch für jüngere Generationen, gerade in Städten mit teuren Mieten oder Immobilienpreisen kann dieses Wohnkonzept aus beschriebenen Gründen eine Überlegung wert sein, ebenso wie das verwandtschaftliche Mehrgenerationenwohnen.
Die richtigen Fragen stellen und Finanzierung sicherstellen
Ein verwandtschaftliches Verhältnis ist natürlich kein Garant für gelungenes Mehrgenerationenwohnen; genauso wenig wie bei zufällig gefundenen Wohngemeinschaften. Ein funktionierendes Mehrgenerationenwohnen lässt sich bestenfalls auf einem Fundament aus einem soliden Vertrauensverhältnis der einzelnen Parteien aufbauen. Außerdem sollten sich alle Beteiligten im Voraus essentielle Fragen stellen und beantworten, z.B. die nach der Wohnlage und Größe des Objekts, die Aufteilung der Besitzverhältnisse, zukünftiger Finanzierungen, Umbaumaßnahmen und sich verändernden Bedürfnissen der einzelnen Parteien. Wie lassen sich zukünftig z.B. etwaige Kraftfahrzeuge, Räumlichkeiten oder ein Garten gemeinschaftlich nutzen? Wer kümmert sich später um welche Aufgaben, wer übernimmt in welchen Bereichen Verantwortung in der Gemeinschaft und für wen und wie lange sind alle Teilnehmer an das bestehende Wohnkonzept und ihre Aufgabenbereiche gebunden?
Es gibt Städte und Kommunen, die Modelle zur Förderung und Finanzierung solcher Wohnkonzepte zur Verfügung stellen. Es lohnt sich daher, sich sorgfältig und ausgiebig über die örtlichen Möglichkeiten zu informieren. Antworten zum Thema Mehrgenerationenwohnen kann auch eine qualifizierte Pflegeberatung geben, besonders wenn es um Fragen zur Finanzierung wohnumfeldverbessernder Maßnahmen oder zur gemeinsamen Nutzung von Leistungen im Rahmen der Pflegeversicherung, z.B. in Pflege-WGs geht.